Seit ein paar Wochen steht es regelmäßig in der Zeitung – #Bayer muss sparen! Jetzt floppte auch noch das Hoffnungsprodukt #Asundexian, die Lage ist ernst. Der neue Chef plant einen Umbau und infolgedessen sollen mehrere Führungsebenen wegfallen. So viel oder so wenig ist bisher bekannt.
Natürlich sorgt das für viele Fragen bei den Mitarbeitenden, insbesondere bei Führungskräften. Bin ich betroffen, braucht mich Bayer noch oder fällt mein Arbeitsplatz weg? Was heißt das dann konkret für mich? Gibt es eine andere Aufgabe für mich oder droht mir gar Arbeitslosigkeit? Wird es ein Abfindungsprogramm geben? Was soll ich jetzt tun?
Mit all diesen Gedanken hatte auch mein Kunde Karsten zu kämpfen, als er sich bei mir gemeldet hat.
Und so ging es weiter: in einem ersten Telefonat tauschten wir uns aus, was ihn bewegt, was er sich wünscht und was er erwartet. Ich habe erklärt, wie ich arbeite und wie ich ihn unterstützen kann, sein Ziel zu erreichen. Wir vereinbarten ein persönliches Treffen. Wann immer es möglich ist, nutze ich die positive Wirkung des Waldes. Nach meiner Erfahrung hilft das langsame Gehen, das in Bewegung sein und die beruhigende Umgebung des Waldes meinen Kund:innen. Zum einen fällt es ihnen leichter, über belastende Situationen und Erlebnisse zu berichten. Zum anderen erlebe ich immer wieder, dass Ideen, Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen auftauchen, von denen meine Kund:innen selber sagen, dass sie in einer klassischen Büroumgebung wohl nie darauf gekommen wären.
In unserer ersten Waldrunde ging es zunächst darum, ein klares Bild über die aktuelle Situation zu bekommen. Karsten berichtete, dass ihn vor allem die Ungewissheit belaste. Er höre viel, wisse aber nicht, was er davon halten solle. Dass er nicht verstehe, warum die Mitarbeitenden ihre Informationen aus der Presse entnehmen müssten und dass er seinen eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerne Antworten geben wolle, aber diese selber nicht kenne.
Gezielte Fragen halfen Karsten neue Einsichten und Erkenntnisse über sich und die aktuelle Situation zu gewinnen. Wir notierten einige Fragen, auf die er zunächst keine Antwort hatte, weil ihm Informationen fehlten. Nach dem Motto „Was wissen wir und was wissen wir eben nicht?“ klärten wir an vielen Stellen, ob es sich um Fakten, eine Meinung, eine Sorge oder bloße Gerüchte handelt. Aufgrund meiner Erfahrungen als Personalleiter konnte ich einige Zusammenhänge erklären, die Karsten so bisher nicht ersichtlich waren. Am Ende sagte Karsten, dass sich für ihn der Nebel nun schon ein Stück weit gelichtet habe. Und vor allem wisse er jetzt, was er als Nächstes tun wolle.
Genau hier erlebe ich oft einen Schlüsselmoment bei meinen Kund:innen — wenn sie erkennen, was der nächste Schritt ist, geht es ihnen schon viel besser. Oft braucht es keinen vollständigen Plan, nur dieser eine nächste Schritt reicht aus, um dem Gefühl der Ohnmacht und dem Nichtweiterwissen zu entrinnen.
Als Hausaufgabe nahm Karsten und ich mit, die fehlenden Informationen zu den notierten Fragen zu beschaffen und wir vereinbarten einen Folgetermin für eine Woche später. So hatte Karsten ausreichend Zeit, die Informationen zu beschaffen und wusste auch, dass es kurzfristig weiter gehen würde.
In der darauffolgenden Woche fassten wir anfangs nochmal zusammen, welche Erkenntnisse wir über die aktuelle Situation bei Bayer gewonnen hatten und ergänzten diese um neue Informationen. Wir diskutierten, inwieweit Karstens Zielsetzung durch neue Informationen beeinflusst wurde und stellten fest, dass sich seine Ziele nicht geändert hatte.
Auf Basis des gemeinsam erarbeiteten Bildes von der Ist-Situation und mit Blick auf Karstens Ziele entwarf ich verschiedene Szenarien, wie es weiter gehen könnte. Hierbei nutzte ich meine Erfahrungen, bildete Hypothesen was passieren könnte und bat Karsten die sich daraus ergebenden Handlungsoptionen zu bewerten. Recht schnell konnten wir ein paar Szenarien verwerfen, weil diese aus Karstens Sicht mit der Kultur von Bayer nicht zu vereinbaren gewesen wären. Gleichzeitig eröffnete die Diskussion dieser Szenarien Karsten einen ganz neuen Blick auf Bayer, er stellte für sich fest, dass er eigentlich froh war bei Bayer zu arbeiten und es viele Dinge bei seinem Arbeitgeber gab, die er sehr schätzte, ohne, dass ihm das vorher bewusst gewesen wäre.
Am Ende der Diskussion stand trotzdem die Frage „Bleiben oder Gehen?“ im Raum.
Ich bat Karsten zu sagen, was er jetzt braucht, um hier eine Entscheidung zu fällen. Darüber wollte er nachdenken und wir vereinbarten ein weiteres Treffen zum Beginn der folgenden Woche.
Diesmal trafen wir uns in einem kleinen Meetingraum. Wir kehrten nochmal zu den verschiedenen Szenarien zurück, die wir beim letzten Mal besprochen hatten. Wir klärten, welche vielleicht neuen Erkenntnisse, Impulse oder Fragen es dazu gibt und ob sich die Bewertung hierzu irgendwie geändert hat. Als Nächstes schrieben wir mithilfe von Mindmaps auf, was Karsten über die einzelnen Szenarien dachte und welche Gefühle er damit verband. Ich bat Karsten immer wieder einzelne Aspekte auf einer Zehner-Skala zu bewerten, um so auch feine Unterschiede, die zunächst nicht offensichtlich waren, klar herauszuarbeiten. Zum Schluss forderte ich Karsten auf, sich final für ein und wirklich nur ein Szenario zu entscheiden. Das fiel im erwartungsgemäß sehr schwer und half nochmal deutlich zu erkennen, wo genau die Knackpunkte liegen.
Am Ende entschied sich Karsten für eine Doppelstrategie. Er wird nun mit meiner Unterstützung seine Bewerbungsunterlagen auf Vordermann bringen und sich auf eine aktive Jobsuche vorbereiten. Ab Januar 2024 wird er aktiv nach einer Alternative außerhalb von Bayer suchen. Bis dahin beobachtet er die weiteren Entwicklungen bei Bayer und betrachtet die entwickelten Szenarien regelmäßig neu unter der Berücksichtigung der neu gewonnenen Erkenntnisse. Wir bleiben im Austausch.
Ich habe Karsten gefragt, was ihm die Zusammenarbeit mit einem Coach gebracht hat. Seine Antwort: Ohne Deine Unterstützung, die klärenden Fragen und Dein intensives Nachfassen, hätte ich nicht so schnell dieses Level an Klarheit erreicht. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, verschiedene Szenarien zu entwickeln. Diese Form der Strukturierung ist sehr hilfreich und wird mir in Zukunft weiterhelfen, meine Bewertungen der Entwicklungen vorzunehmen und schnell die nächsten Schritte daraus abzuleiten. Darüber hinaus bin ich kein Personaler, Du denkst anders als ich und das hat mir Einsichten eröffnet, die mir sonst verborgen geblieben wären. Und der Prozess hat mir geholfen, mich emotional von Bayer zu befreien. Ein Arbeitsleben woanders ist jetzt vorstellbar. Schon verrückt, was viele Jahre bei einem Arbeitgeber mit einem machen können.
*Karsten ist ein Pseudonym. Zum Schutz seiner Privatsphäre und berechtigten beruflichen wie privaten Interessen haben wir uns darauf verständigt, seinen wirklichen Namen und Details nicht zu nennen.